Es ist banal, über das Wetter zu schreiben. Und doch: Eine genaue Betrachtung des Himmels am 22. Oktober 2025 kann aufschlussreich sein. Er zeigt Wolken, Wolken, Wolken in vielerlei Grautönen, mitunter scheint am Horizont etwas Bläuliches durch, das erahnen lässt, dass es auch noch andere Farben am Himmel geben kann. Betrachtet man sich die Fotos aus Südwestdeutschland vom 22. Oktober 1940, auf den Tag genau vor 85 Jahren, könnte das Wetter recht ähnlich gewesen sein. An diesem Tag wurden die südwestdeutschen Juden aus ihrer Heimat in das südwestfranzösische Lager Gurs deportiert, darunter rund 200 Juden aus Pforzheim und Umgebung. Sie waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen – das Einzige, was ihnen vorgeworfen wurde, war, dass sie Juden waren. Unter einem ähnlichen Oktoberhimmel wie 2025 verließen sie ihr Zuhause, oft mit all dem persönlichen Besitz versehen, den man für unbedingt notwendig erachtete.
Der Ort, an dem sie sich einfinden mussten, ist schon seit mehreren Jahren eine kleine Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Güterbahnhofs. Auf Initiative des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Pforzheim, Rami Suliman, wurde das Denkmal erheblich erweitert und vergrößert, um als klar sichtbares Zeichen der Erinnerung an die Deportierten in der Stadt präsent zu sein. Binnen weniger Wochen kamen zahlreiche Spender aus der Zivilgesellschaft zusammen, auch die Stadt Pforzheim beteiligte sich. In Reden wiesen Suliman, der Oberbürgermeister Peter Boch, die Landtagspräsidentin Mutherem Aras sowie der Architekt Peter W. Schmidt auf das Zustandekommen hin.
Für das Hebel-Gymnasium hat die Einweihung eine ganz besondere Komponente. Emil Gerlach aus der Klasse 10a/m hat die Biographie von Fritz Reutlinger erforscht. Im Rahmen des Projekts „Spurensuche“ unter der Anleitung von Frau Senn-Killinger konnte er zahlreiche Details aus dem Leben des ehemaligen Hebel-Schülers herausfinden: Reutlinger, 1925 als Sohn eines Baustoffhändlers geboren, besuchte die Friedrich-Oberrealschule (heute: Hebel-Gymnasium). Über Belgien kam er 1940 noch lange vor der Staatsgründung Israels nach Palästina, die Eltern und die Tochter teilten das Schicksal vieler südwestdeutscher Juden und kamen ins Lager Gurs, konnten von dort aus aber in die USA gelangen. Fritz‘ jüngerer Bruder starb in Auschwitz.
Belohnt wurde Emils Mühe damit, dass er seine Ergebnisse vor den zahlreichen Anwesenden in einer sehr souverän vorgetragenen Rede präsentieren konnte; der Applaus sprach für sich. Fritz Reutlingers Tochter Elana Mayerfeld war unter den Gästen – was alle Anwesenden emotional tief berührte.
Gedenkveranstaltungen reichen jedoch nicht. Pforzheim hat auch eine dunkle Seite: Es ist eine Schande, dass das Denkmal bereits wenige Tage nach der Einweihung beschmiert wurde. Es darf unterstellt werden, dass die Täter weder versuchten, sich in die Situation der von der Deportation Betroffenen hineinzuversetzen, noch der Einweihungszeremonie beigewohnt haben. Mögen sie Emils Rede lesen – hier im Anhang zu finden!
Sebastian Barth




















