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Es bedarf nicht allzu viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Migration unsere Gegenwart prägt. Die neue Bundesregierung hat als eine der ersten Maßnahmen Grenzkontrollen für Einreisende eingeführt, um illegale Einwanderung nach Deutschland zu verhindern. Doch auch jenseits der Politik reicht ein einfacher Gang durch die Pforzheimer Innenstadt aus, um die Wirksamkeit von Migration zu erfahren – von türkischen Imbissen oder italienischen Eiscafés über die Vielzahl unterschiedlicher Sprachen, die zu hören sind. Wer behauptet, dass dies früher nicht so gewesen sei, macht es sich zu einfach und sollte Annika Weckwerth aus der Klasse 10a/m gut zuhören. 1929 war ihr Urgroßvater, der Goldschmied und Fasser Gottlieb Lötteler aus Bieselsberg im Kreis Calw, fest entschlossen, den lebensentscheidenden Schritt der Migration zu gehen. Über Bremerhaven schiffte er sich nach New York City ein. Doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gestaltete sich in der Praxis nicht als ein Traum auf Erden, im Gegenteil: „Dort sterben die Leute auf der Straße!“, soll er gemäß der Familienüberlieferung später erzählt haben. Kein Wunder: Die USA waren das Ausgangsland der Weltwirtschaftskrise 1929, deren Folgen insbesondere Deutschland mit einer Massenarbeitslosigkeit so hart trafen. Auch wenn er die strengen Tests der Einwandererprüfungsstelle auf Ellis Island überstanden hatte und er einreisen durfte, fasste er nicht Fuß und kehrte nur ein halbes Jahr später zu seiner Frau und seinen Kindern zurück in den Nordschwarzwald. Ursprünglich hatte er geplant, sie zu sich nach New York zu holen. Was lebensentscheidend hätte gewesen sein können, blieb nur Episode – aus der Familie Lötterle sind keine Amerikaner geworden, sie sind in Bieselsberg und Umgebung geblieben.

Das Beispiel von Annikas Urgroßvater steht stellvertretend für eine Zeit, in der Deutschland kein Einwanderungsland war, sondern viele Auswanderer das Land verließen, insbesondere aus dem deutschen Südwesten. Im Zuge ihrer Beschäftigung mit dem Thema „Grenzen überschreiten“ stolperte Annika gewissermaßen über einen zweiten Vorfahren, den es bereits 1795 nach Pennsylvania verschlagen hatte und der dort geblieben war. Nachdem sie bereits in der achten Klasse eine GFS zum Thema „Migration“ gehalten und darin die Geschichte des Urgroßvaters mit aufgenommen hatte, war sie sofort motiviert, als sie von Frau Senn-Killinger das Thema des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten 2024/25 erfuhr: „Bis hierher und nicht weiter!? Grenzen in der Geschichte“. Frau Senn-Killinger als Leiterin der Geschichts-AG begleitete Annika bei ihrem Vorhaben, einen Beitrag einzureichen – äußerst erfolgreich: Der Zehntklässlerin wird die Ehre des Landessiegs zuteil, worauf sie sehr stolz ist. Hoch motiviert für das Thema, stellte das vertiefte Einarbeiten in Bücher und archivalische Quellen keine Qual dar, sondern wurde als Bereicherung empfunden. Was war es letztlich, das Annika nun besonders motiviert hat? Migration sei hoch aktuell, klar. Nicht nur das 20. Jahrhundert ist spannend, sondern auch die Zeit davor. Die Geschichte des Urgroßvaters – einfach eine spannende Geschichte! „Wäre seine Erfahrung eine andere gewesen, hätte er Erfolg gehabt und meine Urgroßmutter und ihre Kinder nachgeholt – mein Leben hätte nicht hier begonnen, sondern in den USA. Daran muss ich immer denken!“

Das Hebel-Gymnasium ist stolz auf seine Schülerin und gratuliert ganz herzlich!

 

Sebastian Barth